Wund und Hebarzt, der erste Bürgermeister von Wyhl

Johann Georg Röttele wurde am 29. März 1786 geboren. Schon in der Schulstube hat er sich unter der Anleitung der hiesigen Patres und Schullehrer als begabter und wissbegieriger Schüler erwiesen. Seine Weiterbildung und der damit verbundene Aufenthalt in der Fremde erweiterten seinen Gesichtskreis zum Wund- und Hebarzt.

Noch als weit gereister, erfahrener Mann verband ihn persönliche Zuneigung und der Drang sich immer weiter zu bilden mit den hiesigen Patres aufs Herzlichste, bei denen er einst als Schulbub die schönen barocken Zierbuchstaben mit zugeschnittenem Gänsekiel aufs Papief zaubern gelernt hat.

Sein Charakter, seine Persönlichkeit und sein christlicher Lebenswandel dokumentieren sich in seinem selbst verfassten katholischen Gebetbuch, das er als 37- jähriger fein säuberlich von Hand geschrieben hat und das auch heute noch sehr angenehm für das Auge zu lesen ist.

Johann Georg Röttele heiratete am 03. Februar 1807 die Bürgerstochter Katharina Thrönle. Sie hatten 3 Kinder.

Am 03. September 1820 verstarb der Vogt Andreas Ritter.

Am 08. September 1820 wurde Johann Georg Röttele bisher Waisenrichter, durch das großherzogliche Bezirksamt in Kenzingen als Vogt in Wyhl aufgestellt (vorgeschlagen). Es konnte daher niemand überraschen, daß das hiesige Gerichtsamt dem Bürgerausschuß in diesem Manne den geeigneten Kandidaten für die bevorstehende Vogtswahl sah.

Mit Johann Georg Röttele hatten sich die Bürger für einen Mann entschieden, der für seine guten Charaktereigenschaften bekannt war und dessen Leistungen als Wund- und Hebarzt sowie als Waisenrichter schon mancher erfahren hatte.

Seine Kenntnisse im Lesen und Schreiben, sowie in Medizin, Recht und Religion reichten weit über den Durschnitt der damaligen Zeitgenossen hinaus und waren ihm eine große Hilfe bei der Ausübung seines neuen Amtes, das er in schwerer Zeit übernommen hat.

Am 26. Oktober 1820 fand die Wahl unter Aufsicht der Wahlkommission des Großherzoglichen Bezirksamtes Kenzingen statt. Die Wahlkonunission bestand aus Herrn Oberamtmann Wetzel und Herrn Aktuar Wenz, die dafür Sorge tragen mußten, daß die Wahl ordnungsgemäß ablief. Die ganze Bürgerschaft war auf den Beinen, als die türkische Musik und die Schützenkompanie mit Trommel und Fahnen am Eingang des Dorfes die Wahlkommission empfing und sie zum Wahllokal geleitete. Nach geschehener Abstimmung wurde das Abstimmungsprotokoll der Bürgerschaft bekanntgegeben (präsentiert). Johann Georg Röttele wurde als der Kandidat mit den meisten Stimmen als Vogt vorgestellt und beeidigt (vereidigt).

Bei der Rückkehr wurde bei dem Straußenwirt Blasi Vetter ein Freudenmal gehalten.

Auszug aus der Wyhler Chronik.

Nachdem die ärgsten Wunden des Befreiungskrieges vom 1813 bis 1815 überwunden waren, folgten weitere Hungerjahre, ausgelöst durch die sehr schlechte Witterung in den Jahren von 1817 bis 1820. Die Folge war eine große Auswanderungswelle nach Kanada und Bukowina (Rumänien). Weitere folgten. Zwar brachte die Tulla’sche Rheinregulierung vielen Bürgern Arbeit und Brot, doch die Bevölkerung wuchs und viele hungrige Mäuler konnten nicht genügend gestopft werden. Nach der Gründung des Badischen Staats im Jahr 1806 durch Napoleon und aufgrund der Verfassung aus dem Jahre 1818, hatten die Ortsbürger die Pflicht einen Bürgermeister zu wählen. An Stelle des Vogts, der jahrhundertelang von der Behörde genehmigt und als Verwaltungs – und Gerichtsmann angestellt war, trat der Bürgermeister.

Die erste Bürgermeisterwahl in Wyhl wurde auf den 27. August 1832, 6.00 Uhr festgelegt. Wieder war eine Wahlkommission aus Kenzingen gekommen. Herr Amtmann Gißler und Herr Aktuar Kayser. 248 Bürger beteiligten sich an der Wahl. Mit dem letzten Vogt Johann Georg Röttele hatten die Bürger gute Erfahrungen gemacht, deshalb wählten sie ihn aus 7 Kandidaten mit großer Mehrheit zum Bürgermeister.

Der Zuwachs der Bevölkerung ging auch in den nachfolgenden Jahren und Jahrzenten schneller voran. Die politische Gemeinde und die Kirchengemeinde begegneten der größten Not mit der Einrichtung einer Suppenanstalt. Dies bedeutete einen großen Bedarf an Lebensmitteln und Wohnungen. Die Folge waren weitere Auswanderungen nach Amerika z.B. 1842 eine Gruppe von 39 Personen aus Wyhl nach Tovar in Venezuela.

Um neues Ackergelände als Grundlage besserer Ernährung zu bekommen, wurde im Ratsbeschluß am 26. März 1848 festgelegt, den Ruhwald zu stocken*), zur Bürgernutzung oder Allmende gegen einen billigen jährlichen Zins an die Bürger zu vergeben.

Am ersten April 1848 wurden mit der ersten Abteilung 50 Morgen ausgestockt und in 369 gleichen Losen unter die hiesigen Bürger verteilt. Gleiches geschah nach den Revolutinswirren am 29. Juli 1848 mit der zweiten Abteilung 373 gleichgroßen Losen und am 14. April 1850 mit der dritten Abteilung mit insgesamt 388 Losen.

Das Faschinengeld**) von der Ausstockung und vom Nutzholz sollte an die Bürger verteilt werden. Dafür wurden 2 Bürger, der Gemeinderat Josef Herz und der Obmann des kleinen Bürgerausschusses Gabriel Dürr, Schwiegersohn des Bürgermeisters Johann Georg Röttele, nach Karlsruhe geschickt um die Genehmigung für die Verteilung des Faschinengeldes an die Bürger zu holen.

In dieser unruhigen Zeit war die Regierung zu jeder Konzession bereit. Angesteckt von den Revolutionswirren jener Jahre ging es einer Anzahl von Bürgern nicht schnell genug an das ersehnte Geld zu kommen, besonders diejenigen, die nach Löschung ihrer Schulden dürsteten. Das Verhängnis nahm am Brückle in der Rheinstraße mit Michael Schweizer an der Spitze unter dem Vorwand der Bürgermeister und Gemeinderat wollen die Auszahlung verhindern, seinen Lauf. Diese Gruppe zog vor das Haus des Bürgermeisters um den hochverdienren Mann und Arzt zu Beschimpfen, ihm zu drohen und mit Steinen gegen Tür und Fenster zu werfen. Ähnliches geschah auch bei den Gemeinderäten Josef Herz, Michael Röttele und Josef Vögele, Gabriel Dirr, Obmann des kleinen Bürgerausschusses. Letzterem gelang es durch seine Geschäftsgewandheit den Haufen zu beruhigen.

In Wirklichkeit war an der Verzögerung der Auszahlung die Kreisregierung in Freiburg schuld.

Nach diesem Vorgang um seine Person reichte Bürgermeister Röttele beim Großherzoglichen Bezirksamt in Kenzingen sein Gesuch auf Entlassung ein. Das Bezirksamt entließ ihn nicht. Bestehe er aber auf seiner Bitte, müsse der Gemeinderat einwilligen. Wenn dieser seine Einwilligung verweigert, müsse die Gemeinde gehört werden. Die Mehrzahl der Bürger distanzierte sich von den Unruhestiftern und somit blieb der B Bürgermeister vorerst im Amt.

Eine mündliche Überlieferung besagt, daß die Frau des Anführers eine komplizierte Geburt erwartete und der Hebarzt Röttele gebraucht wurde. Die Frau von Bürgermeister Röttele hatte jedoch große Angst man würde ihren Mann umbringen. Doch er erwiderte, er sei Arzt, es sei seine Pflicht zu helfen, wenn er gerufen würde auch wenn die Gefahr für sein Leben noch so groß sei.

Inzwischen war bereits am 09. April 1848 unter Bürgermeisterstellvertreter Josef Herz auf 12.00 Uhr die ganze Gemeinde zur Beschlußfassung bezüglich der Verteilung des Faschienengeldes erschienen. Einstimmig wurde beschlossen den Betrag von 10.000 Florentiner Gulden, der aus den für Rheinmaterial ausgegebenen Faschinen, Pfähle und Nutzholz erzielt wurde, an die Genußberechtigten zu verteilen. Der Betrag sollte auch mit etwaigen Schulden bei der Gemeindekasse verrechnet werden. Gabriel Dirr und andere Mitglieder des Bürgerausschusses gaben den Rat, Faschienengeld für eine Viehleibkasse anzulegen um die Bauern vor Wucherpreisen und-zinsen durch die damaligen Viehhändler zu schützen bzw. zu befreien.

Dies war auch ganz im Sinne von Bürgermeister Rätfeie. Dieser Rat wurde jedoch nur zum Teil angenommen. Einige Bürger hatten es nicht verstanden, aus diesem Geld etwas zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu machen, und so kam die Armut zurück. Erneut reichte Johann Georg Röttele beim Bezirksamt sein Rücktrttsgesuch ein, mit der Begründung, daß er bereits alt sei, übel höre und beim Schreiben zittere. Auf dieses Schreiben hin wurde er entlassen.

Sogleich wurde der 17. 4. 1848 als Termin für eine neue Bürgermeisterwahl angeordnet. Auf Rat des Altbürgermeisters Röttele wurde der hiesige Bürger und Weber Josef Kapferer bisher Amts-und Gerichtsbote, zum Bürgermeister gewählt. Dieser führte ein strenges Regiment und manch armer Bürger mußte einsehen, daß seine Vorstellungen von einem besseren und freieren Leben viel weniger Verwirklichung erfuhren. Die Zeiten wurden nicht besser.

*) Stocken oder Ausstocken heißt roden eines Waldes mitsamt den Baumwurzeln um dieses Gebiet landwirtschaftlich zu nutzen.

**)Die Faschine ist ein aus Weidenruten oder. Reisig zusammengeflochtenes Bündel von etwa 25 bis 50 cm Durchmesser und 3 bis 6 mtr. Länge. Sie wird im Wasserbau zum Ufer- und Böschungsschutz verwendet; zum Buhnenbau wird ein Pflöcken angebunden und mit Kies oder Steinpackung u. a. beschwert und versenkt.

Johann Georg Röttele